Powerzentrum 2 „Neuansiedlungen“
Die Powerhouse-Region ist auf dem besten Weg, zur zentralen Drehscheibe für erneuerbare Energien in Deutschland zu werden. Um die Ziele der Energiewende und der Dekarbonisierung zu erreichen, stehen im Norden milliardenschwere Investitionen in den Aus- und Umbau der Energieinfrastruktur an. Doch der Ems-Elbe-Raum darf nicht auf eine reine Produktions-, Anlandungs- und Durchleitungsregion für nachhaltige Energie reduziert werden.
Es muss gelingen, die anstehende Transformation mit der Schaffung und Sicherung von Wertschöpfung und Arbeitsplätzen zu koppeln. Konkret bedeutet das: Die Powerhouse-Region braucht Neuansiedlungen im großen Maßstab – insbesondere von energieintensiven Industrieunternehmen, die synergetisch von Erzeugungsanlagen, Speichern und Leitungen profitieren und gleichzeitig zu Stabilität und Effizienz der Energienetze beitragen können. Nur so kann vor Ort die notwendige Akzeptanz für die anstehenden Investitionen geschaffen werden.
Die Powerhouse-Region: Stärken und Schwächen, Chancen und Risiken
Der Ems-Elbe-Raum zeichnet sich durch eine hohe Vielfalt mit regionalen Besonderheiten und sehr unterschiedlichen Standortbedingungen aus. Strategien und Maßnahmen zur Stärkung der Powerhouse-Region und zur Stimulierung von Neuansiedlungen müssen diese Besonderheiten berücksichtigen. Daher gilt es, spezifische Stärken und Schwächen, Chancen und Risiken der Region gezielt in den Blick zu nehmen.
Stärken
Die Powerhouse-Region zeichnet sich durch eine führende Position im Import, in der Erzeugung und Speicherung von erneuerbaren Energien aus. Niedersachsen deckt bilanziell bereits 100 Prozent seines Strombedarfs aus erneuerbaren Energien. Besonders stark ist die Region im Bereich der Windenergie, sowohl onshore als auch offshore, sowie im Bereich Biogas. Die geologischen Salzformationen in der Region ermöglichen die Herstellung von Kavernen.
Zudem verfügt die Region über eine gut ausgebaute, moderne und sichere Energie-Infrastruktur, die sowohl den Transport von Elektronen als auch von Molekülen mit internationalem Anschluss ermöglicht. Leistungsfähige Häfen unterstützen den Energieimport.
In der Region gibt es bereits große Energieverbraucher für Strom und Gas, und in Stade findet bereits signifikante Wasserstoffproduktion statt.
Die Powerhouse-Region verfügt über viele ländliche Gewerbegebiete, die noch über Ausbaupotenzial verfügen und zudem in der Nähe von Energienetzen und Flächen liegen, die für den weiteren Ausbau von Windkraft oder Flächen-Photovoltaik geeignet sind.
Die Powerhouse-Region verfügt über hohe Expertise in Wissenschaft und Forschung. Gut funktionierende Netzwerke und hervorragend ausgebildete Beschäftigte tragen ebenfalls zur Stärke der Region bei. Schließlich bietet die Powerhouse-Region ein industriefreundliches Umfeld mit leistungsfähigen Genehmigungsbehörden.
Schwächen
Die Powerhouse-Region ist sowohl national als auch international bislang kaum sichtbar und wird oft gar nicht oder nur zersplittert wahrgenommen.
Bislang gibt es für ansässige Unternehmen noch keine Vorteile bei den Energiekosten. Im Gegenteil: Der Bau von Trassen führt zu höheren Netzentgelten, was den Strom im Norden tendenziell teurer macht als im Süden.
Es gibt erhebliche Akzeptanzprobleme beim Ausbau erneuerbarer Energien und der Netzinfrastruktur. Der Ausbau der Netzinfrastruktur hinkt zudem den Ausbau der erneuerbaren Energien hinterher.
Darüber hinaus gibt es keine einheitliche Genehmigungs- oder Gesetzeslage, da diese je nach Gemeinde oder Kreis unterschiedlich ausfallen kann. Die Genehmigungsverfahren sind langwierig und die Anforderungen oft zu komplex.
Viele Branchen klagen über einen Fachkräftemangel. Insgesamt ist die Region noch zu wenig attraktiv, um Arbeitskräfte aus anderen Gebieten anzuziehen.
Chancen
Die Dekarbonisierung der Energieversorgung, der industriellen Prozesse und der Mobilität erfordert enorme Mengen an erneuerbaren Energien. Die Powerhouse-Region kann hierbei eine Vorreiterrolle einnehmen, sowohl bei der Produktion als auch beim Einsatz dieser Energien. Erneuerbare Energien tragen dazu bei, die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen zu verringern.
Besonders im ländlichen Raum gibt es bei entsprechender Genehmigungslage noch großes Potenzial für Flächen-Photovoltaik, was Möglichkeiten für Power Purchase Agreements eröffnet. Viele landwirtschaftliche Flächen bieten zudem ergänzende Möglichkeiten für Carbon-Farming.
Ein besonderes Potenzial liegt in der Erzeugung, Verteilung, Speicherung und dem Import von Wasserstoff, beispielsweise durch die Nutzung von Stromüberschüssen mittels Elektrolyseuren und unterirdischen Gaskavernen. Wasserstoff hat vielseitige industrielle Anwendungen. Wenn Gewerbegebiete an das Wasserstoffkernnetz angeschlossen werden, können sie mit einem Tempovorteil punkten, da Unternehmen schneller Zugang zu grünem Wasserstoff erhalten somit auch schneller dekarbonisieren können.
Der geplante Infrastrukturausbau, wie etwa die A20, verbessert die Erreichbarkeit der Powerhouse-Region und ermöglicht die Erschließung neuer Gewerbegebiete. Besondere Chancen ergeben sich auch für die Häfen, da die Ausbauziele bei der Windkraft auch hier noch erhebliche Infrastrukturinvestitionen erfordern.
Insgesamt besteht die Chance, dass die Stärken der Region künftig besser sichtbar werden und zu zunehmenden Ansiedlungsanfragen führen.
Risiken
Wenn die Powerhouse-Region lediglich zur „Durchleitungsregion“ wird, ist mit erheblichen Akzeptanzproblemen und einer sinkenden Standortattraktivität zu rechnen.
Wenn der Ausbau der Netze und der erneuerbaren Energien nicht besser aufeinander abgestimmt werden, droht die Gefahr steigender Kosten der Energiewende.
Ohne schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie Prozessvereinfachungen sinkt die Wahrscheinlichkeit von Neuansiedlungen. Im europäischen und globalen Standortwettbewerb würde die Region weiter zurückfallen.
Vorschläge und Handlungsempfehlungen
„Industrie folgt Energie“ – dieser Leitspruch wird sich nur bewahrheiten, wenn die Rahmenbedingungen eines Standorts so gestaltet sind, dass sich handfeste Vorteile für eine Ansiedlung ergeben. Hier sehen wir in der Powerhouse-Region noch vielfältigen Handlungsbedarf. Bei allen Maßnahmen muss es darum gehen, dauerhaft bessere Standortbedingungen zu schaffen. Einmalige Subventionen können einzelne Ansiedlungsvorhaben unterstützen, bergen aber auch das Risiko von Marktverzerrungen und Mitnahmeeffekten.
Erneuerbare Energien zu einem echten Standortvorteil machen.
Die Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien im Norden muss zu einem echten Standortvorteil werden. Energieintensive Unternehmen werden sich nur ansiedeln, wenn vor Ort Energiekostenvorteile realisiert werden können. Hierfür sind die erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, zum Beispiel über eine Reform der Netzentgelte. Die Erhaltung der Versorgungssicherheit zu wettbewerbsfähigen Preisen muss dabei gewährleistet sein.
Bessere Rahmenbedingungen für Power Purchase Agreements (PPA) sind ein weiterer Weg, erneuerbare Energien stärker als Standortvorteil vermarkten zu können. Als individuell ausgehandelte, langfristige Stromlieferverträge dienen PPA der Refinanzierung von spezifischen Anlagen, stellen den Bezug grünen Stroms für die Unternehmen sicher und bieten langfristig wettbewerbsfähige Preise. Wesentliche Wertkomponente sind dabei die Herkunftsnachweise, die den grünen Strombezug dokumentieren. Differenzverträge für Energiepreise (Contracts for Difference) sind ein weiteres mögliches Instrument zur Senkung der Betriebsausgaben für die Industrie.
Energieintensive Unternehmen dort ansiedeln, wo Erneuerbare im Überfluss zur Verfügung stehen.
Energieintensiv produzierende Anlagen wie Elektrolyseure oder Batteriezellenfabriken sollten gezielt dort angesiedelt werden, wo erneuerbare Energien bereits im Überfluss zur Verfügung stehen. Viele Unternehmen verfügen über Flexibilitätspotenziale und können ihren Energiebedarf durch Lastmanagement, den Einsatz von Speichern, Anpassungen in der Produktionsplanung oder durch die Nutzung digitaler Technologien dem Energieangebot anpassen. Diese Systemdienlichkeit sollte stärker honoriert werden. So kann der Druck auf den Leitungsbau gedämpft werden, zudem reduzieren sich die Kosten durch netzbedingte Abregelungen von EE-Anlagen erheblich.
Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen.
Die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren ist allein schon deshalb erforderlich, um die Transformation zur Klimaneutralität im geplanten Zeitraum zu schaffen. Als Modellregion für Bürokratieabbau könnte der Ems-Elbe-Raum im Standortwettbewerb punkten.
Regelungen für die Ausweisung von Flächen für erneuerbare Energien, Vorgaben für Natur- und Artenschutzbelange und die Entwicklungspläne von Kommunen passen immer schwerer zusammen. Die Ausweisung von Flächen für erneuerbare Energien sollte deshalb über die gesamte Region so weit wie möglich vereinheitlicht werden.
Freiräume für innovative Energiekonzepte schaffen.
Unternehmen sollten bessere Möglichkeiten erhalten, in Eigenverantwortung innerhalb eines festgelegten Raums eigene Ideen oder Pilotprojekte zu realisieren, um energieautarke Gewerbegebiete ermöglichen. Aktuell wird das Engagement durch zu viel Regulatorik gebremst. Testfelder, Experimentierräume und Reallabore („living labs“) könnten mehr Freiraum für innovative Energiekonzepte schaffen.
Neue Gewerbeflächen erschließen.
Zunehmende Flächenkonkurrenz schränkt den Spielraum für wirtschaftliche Entwicklung ein. Andererseits können durch große Infrastrukturvorhaben wie die A20 neue Gewerbeflächen erschlossen werden. Deshalb ist es wichtig, nicht nur bestehende oder bereits geplante Gewerbeflächen, sondern auch zukünftige Potenzialflächen in den Blick zu nehmen. Der Flächenkauf durch Gemeinden sollte vereinfacht werden.
Der Bau der A 20 sollte daher mit Hochdruck fortgesetzt werden. Die Küstenroute A 20 verbindet die wichtigsten Seehäfen, von den Niederlanden über Deutschland bis hin nach Osteuropa. Sie ist ein dringend erforderlicher Lückenschluss im transeuropäischen Verkehrsnetz, der den Güter- und Individualverkehr verbessert, bestehende Gewerbestandorte wettbewerbsfähiger und damit auch neue Ansiedlungen möglich macht. Durch deutlich kürzere Fahrstrecken erfolgt eine bessere Anbindung der Häfen Bremerhaven, Brake, Cuxhaven, Nordenham, Stade und Wilhelmshaven. Durch die LNG-Terminals in Stade und Wilhelmshaven und weitere Projekte hat die A 20 auch energiepolitisch eine große Bedeutung.
Rahmenbedingungen für den Ausbau erneuerbarer Energien verbessern.
Die Rahmenbedingungen für den Ausbau erneuerbarer Energien sollten weiter verbessert werden. Bund, Länder und Kommunen sollten für den Bau von Wind- und PV-Freiflächenanlagen mehr Flächen zur Verfügung stellen. Der Ausbau von Windanlagen an Land kann zudem beschleunigt werden, wenn Prüfschritte für Neuanlagen und Repowering entfallen. Von besseren Rahmenbedingungen könnten auch Geothermie (derzeit ist eine Bergbauberechtigung schon ab 100 m Tiefe erforderlich) und die Wasserstoffproduktion (Förderung derzeit nur, falls Elektrolyseure mit Strom aus Erneuerbare-Energien-Anlagen betrieben werden, die nicht älter als 36 Monate sind) profitieren.
Standortmarketing ausbauen und optimieren.
Powerhouse Nord möchte die Region zu einem Kraftzentrum für die Energiewende und die nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland machen. Die Initiative sollte schrittweise zu einer Dachmarke mit hoher Strahlkraft ausgebaut werden. Zudem gilt es, die Ansiedlungsförderung auf Landesebene strategisch auszubauen, auch im Sinne einer übergreifenden Wirtschaftsförderung.
Net-Zero-Industry-Act wirtschaftsfreundlich umsetzen.
Bund und Länder sollten sich für eine wirtschaftsfreundliche Umsetzung des Net-Zero-Industry-Act (NZIA) der EU einsetzen. Der NZIA soll bessere Bedingungen für Investitionen in saubere Technologien in Europa schaffen und somit die Rahmenbedingungen für eine klimafreundliche Industrieproduktion setzen. Ziel ist es, die Herstellungskapazitäten von Netto-Null-Technologien in der EU bis 2030 auf 40 Prozent des gesamten jährlichen Versorgungsbedarfs der EU zu erhöhen. Wenn es über den NZIA gelingt, Belastungen für Unternehmen zu reduzieren und die Rahmenbedingungen für den Aufbau von Produktionsstätten für Netto-Null-Technologien in der zu verbessern, ergeben sich damit auch für die Powerhouse-Region Chancen.
Vielversprechend erscheint auch die Möglichkeit, im Rahmen des NZIA so genannte „Net-Zero Acceleration Valleys“ (NZV) auszuweisen. In diesen Regionen können für definierte Industriezweige etwa Umweltverträglichkeitsprüfungen vorab auf regionaler Ebene durchgeführt und so die administrativen Hürden für einzelne Projekte deutlich gesenkt werden. Außerdem bestehen für NZV bessere Voraussetzungen für EU-Fördermittel. Ferner sieht die Verordnung vor, dass nationale Maßnahmen zur Unterstützung der industriellen Tätigkeiten in den NZV möglich sind. Dazu sollten möglichst viele der in diesem Papier genannten Handlungsempfehlungen aufgenommen werden.
Björn Schaeper – Oldenburgische Industrie und Handelskammer